Er habe als Kind seinen Lehrer bewundert, der mit beiden Händen gleichzeitig zeichnen konnte. Es war, als seien sie aufeinander abgestimmt, erzählt Ralph Kull. Seine Skulptur Polyklet in Wilhelmshaven hat vermutlich etwas mit dieser Erinnerung des heute 44-jährigen zu tun. Denn die beiden symmetrischen Bronzegüsse, die zueinander stehen wie zwei Werkteile, die auf der Töpferscheibe, oder auf der Drehbank entstanden sein könnten, zeichnen auf den Innenseiten Konturen, die zusammenspielen und den, der den Durchblick dazwischen ins Auge fasst, eine menschliche Figur sehen lassen. Ralph Kull macht keinen Unterschied zwischen Maler, Graphiker, Konzeptkünstler, oder Bildhauer. Er versucht uns in jeglichem Material und Medium Geheimnisse zu offenbaren. „Die Vernunft eines jeden von uns ist nur ein Reflex jenes unbeschreiblich Unbekannten, das mit Ordnung gefüllt ist. Das Mysterium eines jeden von uns ist nur der Reflex jener unbeschreiblichen Leere, die alles enthält“, zitiert Kull den Schriftsteller Carlos Castaneda. Diese Leere, die alles enthält, ist der eigentliche Mittelpunkt seiner tonnenschweren Skulptur von Wilhelmshaven – ebenso wie die weiße Wand im Kunstverein Hannover, die gegen das Nähertreten wie im Museum mit einer niedrigen Barriere geschützt ist, auf der aber nichts zu sehen ist, es sei denn, unsere Fantasie füllte diese Leere mit Ordnung.
Ludwig Zerull
Kunstkritiker Hannover
Buchtext in BauArt – Künstlerische Gestaltung staatlicher Bauten in Niedersachsen, 1999