Rahmenbedingungen

blend – der Ausstellungstitel zweier Präsentationen mit Werken von Bert Haffke und Ralph Kull in Bremen und Göttingen bietet Anlaß zum Innehalten, klingt das englische Wort doch vertraut und gleichzeitig unvollständig. Der Begriff bezeichnet in Verbindung mit Kaffee-, Tee- oder Tabakprodukten eine Mischung – so die direkte Übersetzung – verschiedener Sorten zur Besserung des Geschmacks. Bei Farbmischungen erscheint der Begriff ebenso wie als Silbe deutscher Worte etwa bei Verblendung oder Überblendung. Grausam war die Strafe des Blendens, die dauerhafte oder zeitweise Blindheit zur Folge hatte. Trügerisch hingegen ist die Blende, bezeichnet sie taubes Gestein, das zwar glänzt, aber kein Erz enthält. Beide Künstler, die diesen Ausstel­lungstitel gewählt haben und unabhängig voneinander arbeiten, verhandeln in ihren Werken die Frage nach dem offensichtlichen wie verborgenen Bildinhalt, der die Wahrnehmung bei der Kunstrezeption beeinflusst.

Ralph Kull reflektiert mit seinen Werken die Entstehung von Kunst und den Kanon der Kunstgeschichte in neuen Bildern, die bewusst Brüche beinhalten und somit die Rezeption ins Stocken bringen. Im Werk „dual (Harz)“, 2024, scheint sich das Verhältnis von Bild und Rahmen verkehrt zu haben. Erwartet man, falls überhaupt, eine Rahmung, dann eine unauffällige, mit schlichten Leisten und nicht wie hier eine bunte, die im Kontrast zur leeren, weißen Bildfläche steht. Bei eingehender Betrachtung wird jedoch erkennbar, dass es sich nicht um eine Rahmung, sondern den äußeren Teil eines Gemäldes handelt. Ein Waldinneres mit Baumstämmen und im Sonnenlicht changierenden Blättern lässt sich am oberen Rand erkennen, während der untere Rand mit gelber und roter Farbe stärker abstrahiert erscheint. Doch der überwiegende Teil der ursprünglich dargestellten Landschaft wurde wie ein unliebsam gewordenes Fresko übermalt. Statt vor einer Waldidylle im Harz steht man vor der erneut weißen Leinwand, die nun mit Hilfe der eigenen Phantasie oder dem eigenen Bildergedächtnis gefüllt werden kann.
Auf die Tradition der Landschaftsmalerei verweist auch das Werk „16/6/2024 (‚Landschaft mit Hochwild‘, Lorrain IV)“, denn der im Barock tätige Maler und Kupferstecher Claude Lorrain (1600–1682) etablierte diese als eigenes Genre im idyllisch-arkadischen Stil. Bei der Reproduktion der Zeichnung könnte es sich nun um appropriation art handeln, doch fällt bei genauer Betrachtung der Wolf im linken unteren Bildteil auf, der das alleinstehende Reh im rechten Vordergrund belauert. Er entspricht im Zeichenduktus nicht der vorwiegenden Schraffur, sondern wirkt realistisch. Die Bearbeitung des vorhandenen ikonischen Motivs führt so zu einer thematischen Wendung vom arkadischen zum dramatischen Inhalt, einer gestörten Idylle. Das eigentlich dramatische ist jedoch die Manipulation von Bildern mit Hilfe technischer Bearbeitung, die nur den Menschen auffällt, die über valide Bildkenntnisse verfügen. Ausmaß und Einflussnahme durch Bildbearbeitung und Framing bleiben, wenn nicht ausdrücklich kenntlich gemacht, ansonsten beim Wahrnehmungsprozess unbewusst.
Ein offensichtlicher Eingriff hat hingegen im Werk „deutsche Landschaft (Requiem)“, 2024/2025, stattgefunden, indem das großformatige Gemälde in 16 gleichgroße Einzelbilder zerschnitten wurde. Obwohl sie eng nebeneinander gehängt präsentiert werden, bleibt die Fragmentierung deutlich sichtbar und wirft die Frage nach der Ausschnitthaftigkeit von Bildern und deren Wahrnehmung auf. Lässt der Titel ‚deutsche Landschaft‘ noch an ein romantisches Motiv im Stile Caspar David Friedrichs denken, erscheint stattdessen eine Stadtansicht mit nüchternen Zweckbauten, Müllcontainern und Überwachungskameras, bei der selbst die im Vordergrund dargestellte Parkanlage zweckmäßig wirkt. So bleibt beim Zusatz ‚Requiem‘ im Titel offen, ob die Totenmesse der Zerstörung der Landschaft an sich oder der Zerstörung des Wahrnehmungskontinuums durch mediale Formate und Rasterungen gesungen wird.
Dieses Spiel mit Bedeutungen und Rückbezügen auf die Kunstge­schichte findet sich immer wieder im Werk von Ralph Kull. Dabei kommen ganz unterschiedliche Medien zum Einsatz, etwa die Fotografie von zwei Pissoirs, die auf das Werk ‚Fountain‘, 1917, von Marcel Duchamp verweist. Das reale Pissoir wurde von Duchamp zum Kunstwerk erklärt und mit dem Pseudonym R.(ichard) Mutt signiert. Betrachtet man unter dieser Voraussetzung die Fotografie mit dem Titel „()“, 2024, von Ralph Kull, bekommt die in einem Pissoir sichtbare Schrift ‚wat mutt‘ und im anderen ‚dat mutt‘ eine über das reine ‚Müssen‘ hinausgehende Bedeutung.
Die Arbeit „(Heraklit)“, 2025 [S. 3], zeigt hingegen eine in Bronze gegossene Fußsohle, die von hinten beleuchtet wird. Dient der Fußabdruck heute als Maßstab der ökologischen Zerstörung, die der Mensch hinterlässt, scheint die Fußsohle eher auf die Spuren des Philosophen Heraklit (um 540 v. Chr.–460 v. Chr.) hinzuweisen. Fraglich bleibt, in­wiefern die Philosophie das menschliche Handeln – zum Besseren – beeinflusst.

Die Werke von Ralph Kull und Bert Haffke bieten in der Gemengelage historischer wie zeitgenössischer Kunst Anlässe zum Innehalten. Altbewährte Mischungen aus Motiv, Material und Technik erscheinen modifiziert und teilweise so reduziert, dass einzelne Komponenten hervortreten, neu wahrgenommen und eingeordnet werden können. Eine Melange, die Zuspitzungen nicht verbirgt und die Sinne betäubt, sondern das Bei-sich-sein im Angesicht des gegenüberstehenden Werks ermöglicht.

Julienne Franke,
Jan. 2025